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Raum für Gedanken

Die Potsdamer Fotografin Kathrin Ollroge ist mit ihrer Installation „Raum für Gedanken“ durch brandenburgische Städte und Dörfer gereist. Im „Raum für Gedanken“ konnten Passanten zu Papier bringen, was sie über Flüchtlinge in ihrer Nachbarschaft denken. Im Februar wird in Potsdam eine Ausstellung mit Fotos und Protokollen eröffnet.

Still ist es hier, fast verlassen. Als Kathrin Ollroge zuletzt in Lentzke war, schien die Sonne und die Menschen waren draußen. Im Oktober kam die Künstlerin und Fotografin für ein paar Tage ins kleine Dorf bei Fehrbellin. Das war, bevor die ersten Flüchtlinge nach Lentzke zogen.

Damals bringt Kathrin Ollroge ihren „Raum für Gedanken“ mit. Sie lädt die Lentzker ein, darin ihre Sorgen, Ängste und Wünsche aufzuschreiben oder ihr zu erzählen. Denn unter den 400 Einwohnern herrscht im Herbst Unruhe, weil 70 Flüchtlinge nach Lentzke kommen. Kathrin Ollroge hat die Gedanken der Dorfbewohner festgehalten.

Kathrin Ollroge, Künstlerin
„Ein Bild, welches mir Angst gemacht hat, war das Bild eines eingezäunten Hauses, kameraüberwacht, Wachschutzpatrouillen rund um die Uhr. Dieses Bild aufzulösen, zu vergessen, dabei haben Freunde und Bekannte geholfen. Indem sie nicht in das Horn meiner Angst bliesen, sondern ein anderes Bild malten. Auf diesem Bild sind Begegnungen zu sehen. Das Miteinanderfeiern, der Austausch von Kochrezepten.“

Wie ein Wohnzimmer hat Kathrin Ollroge ihren „Raum für Gedanken“ eingerichtet. Er soll ein Schutzraum sein, in dem jeder anonym seine Meinung und seine Gedanken aufschreiben kann.

Kathrin Ollroge, Künstlerin
„Mein Anliegen war es, eine Atmosphäre zu schaffen, die auch zum Nachdenken anregt, in ruhiger Atmosphäre. Dass man vielleicht auch erst mal nachdenkt, sich ein paar Minuten Zeit nimmt, nachdenkt, bevor man das aufschreibt. Um so auch schon seine eigenen Gedanken zu reflektieren.“

In Lentzke trauen sich die Menschen zunächst nicht in den Raum, sie scheinen skeptisch. Doch dann kommen die ersten und schließlich fast das ganze Dorf.

Kathrin Ollroge, Künstlerin
„Viele Sorgen von Menschen hier waren, was sollen denn die Menschen machen, hier ist ja gar nichts, es gibt ja keine ausgebaute Infrastruktur, es gibt einige Busse, die in die nächstgelegenen Orte fahren, nach Fehrbellin und Neuruppin zum Einkaufen, auch für die Kindergarten- und Schulbetreuung gibt es nicht so viele freie Kapazitäten.“

In diese Wohnblöcke sind inzwischen die ersten Flüchtlinge eingezogen. Unter ihnen Mustafa, Osama und Salim. Sie stammen aus Syrien und sind seit zwei Monaten hier. Bisher hat Kathrin Ollroge nur mit Alt-Lentzkern gesprochen, jetzt will sie wissen, wie das Zusammenleben für die neuen Dorfbewohner aussieht.

Kathrin Ollroge, Künstlerin
„Gibt es schon Kontakte zu Lentzkern? Habt Ihr Eure Nachbarn schon kennengelernt?“

Salim, Asylbewerber aus Syrien
„Ich bin zufrieden hier, die Lentzker sind sehr nett und helfen uns. Es gibt eine Dame aus dem Dorf, die uns ehrenamtlich einmal die Woche Deutschunterricht gibt, das ist toll, dafür sind wir sehr dankbar. Aber leider reicht das nicht, um die Sprache zu lernen. Bisher haben wir noch keine Sprachkurse bekommen. Und wir wollen doch unbedingt Deutsch lernen.“

Von Salim, Ossama und Mustafa erfährt Kathrin Ollroge, wie es Flüchtlingen in der Fremde geht, dass sie sich einsam fühlen und nur schwer Kontakte knüpfen können, solange sie kein Deutsch sprechen. Wie alle ihre Gesprächspartner portraitiert Kathrin Ollroge auch die drei mit ihrer Kamera.

Im vergangenen Jahr hat Kathrin Ollroge viel über die Ängste, Sorgen und Wünsche der Menschen erfahren. Drei Monate lang ist sie mit ihrem „Raum für Gedanken“ durch Brandenburg getourt, hat ihn in Städten und Dörfern aufgebaut, die Flüchtlinge und Asylsuchende aufnehmen. Sie ist fremdenfeindlichen Menschen begegnet oder Bürgern, die den Flüchtlingen helfen wollen. Immer wieder spürt sie, dass viele unsicher sind, nicht wissen, wer da zu ihnen kommt.

Kathrin Ollroge, Künstlerin
„Man versteht es oft nicht, warum Flüchtlinge modern gekleidet sind, warum die alle tolle Mobiltelefone haben, und verliert dann vielleicht auch teilweise das Verständnis dafür, weil man denkt, die sind ja gar nicht hilfsbedürftig.“

Zurück in Lentzke trifft Katrin Ollroge auch drei Bekannte wieder, die sie im Oktober in ihrem Raum besucht haben. Von ihnen erfährt sie, dass sie ganz gut mit den neuen Nachbarn zurechtkommen.

Bewohner von Lentzke
„Die lernen ja schon Deutsch.“
„Man verständigt sich so mit Handzeichensprache.“
„Aber sind wenig unterwegs.“
„Man sieht sie ab und zu mal spazierengehen.“

Jetzt hat Katrin Ollroge ihren „Raum“ in einem Potsdamer Café aufgebaut. Und egal, wo ihr kleines Wohnzimmer steht, die Menschen kommen und hinterlassen ihre Gedanken.

Kathrin Ollroge, Künstlerin
„Seit dem großen Pegida-Zulauf drehen sich meine Gedanken immer öfter um diese dummen Mitläufer. Und meine hilflose Wut wächst und wächst. Warum lassen wir uns das einfach alles so gefallen?“

Als Kathrin Ollroge ihre Tour startete, gab es noch keine Pegida-Bewegung. Seitdem hat sich einiges für sie geändert.

Kathrin Ollroge, Künstlerin
„Wenn ich heute gefragt werden würde, ob ich solch ein Projekt entwickeln würde, wüsste ich nicht, ob ich da diese Unbefangenheit, diese Offenheit hätte, die ich am Anfang hatte, weil es jetzt auch eine ganz andere Brisanz bekommen hat, durch die aktuellen Geschehnisse, durch die Pegida-Bewegungen.“

Egal, was kommt: Kathrin Ollroge will weitermachen. Und wissen, wie es denn nun tatsächlich ist, wenn die neuen Nachbarn Flüchtlinge sind und aus fremden Ländern und Kulturen kommen.

Autorin: Katharina Wenzel