Westhavelland 2014/2015

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Der “Raum für Gedanken” stand an acht Tage unterschiedlichen öffentlichen Orten im Westhavelland. Im Landkreis Havelland wurden im vergangenen Jahr ca. 363 asylsuchende Menschen aufgenommen. Bis zum Jahresende 2015 wird eine Steigerung auf rund 1000 erwartet. Trotz Rückbau in den vergangenen Jahren besteht noch ein relativ großer Leerstand an Wohnungen, diese könnten für die Unterbringung der Asylsuchenden genutzt werden. Da die Anzahl der Neuankünfte fast täglich steigt, muss momentan verstärkt auf die Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften zurückgegriffen werden.

Premnitz 13. bis 15. November 2014
Premnitz hat über 8400 Einwohner. 83 asylsuchende Menschen wohnen in einer ehemaligen Schule und über 40 sind in Wohnungen verteilt. Der „Raum für Gedanken“ stand drei Tage auf dem Marktplatz.

Rathenow 19. bis 21. November 2014
In Rathenow leben knapp 24.000 Einwohner. Im bestehenden Asylbewerberheim leben gegenwärtig 165 Menschen und 128 leben in eigenständigen Wohnungen. Ein neu gebautes Übergangswohnheim mit voll belegten
86 Plätzen wurde am Grünauer Weg fertiggestellt. Der „Raum für Gedanken“ stand einen Tag auf dem Märkischen Platz, einen Tag am Bahnhof und einen Tag am Grünauer Weg.

Rhinow 26. November 2014
Rhinow hat 1640 Einwohner. Zwei asylsuchende Familien leben dort in eigenständigen Wohnungen. Der „Raum für Gedanken“ stand einen Tag auf dem Marktplatz.

Friesack 10. Dezember 2014
Friesack zählt 2483 Einwohner. Die Anzahl der Flüchtlinge beläuft sich momentan auf circa 100 in einem ehemaligen Internat. Eine weitere Unterkunft mit 80 Plätzen soll bis zum Frühjahr 2015 geschaffen werden. Der „Raum für Gedanken“ stand einen Tag auf dem Marktplatz.

[Die Daten ändern sich täglich durch Neuzugänge und Ausreisen.]

Ein Tag der offenen Tür wäre doch schön. Es gab Zwischenfälle, als angefangen wurde hier zu bauen. In dem anderen Flüchtlingsheim, da sollte man zu Besuch gehen können, aber man wurde nicht hereingelassen. Viele denken, sie wären komplett eingerichtet, gleich nachdem sie ankommen, aber so ist es doch nicht. Angst ist eine wirklich große Hemmschwelle. Rathenow war nach der Wende auch ein Brennpunkt, was rechte Gewalt angeht. Es gibt keinen Raum für Familie mehr. Es kommen nur Männer. Die Frauen haben alle Kinder, die passen dann nicht in die kleinen Räume. Sie hätten so gerne alle Familien hier. Es sind also ganz viele Aspekte, die mit reinspielen, die gar nichts mit den Menschen zu tun haben. Die Scheinwerfer stören mich, wenn ich von der Nachtschicht nach Hause komme und so angeleuchtet werde, da komme ich mir vor wie eine Kriminelle. Rathenow, weiblich, Jahrgang 1974


Mir schmeckt das alles gar nicht, aber machen können wir auch nichts. Am besten wäre es, wenn sie denen die leeren Wohnungen in der Stadt gegeben hätten. Hätte ich das gewusst, hätte ich nicht letztes Jahr mein Haus hier gebaut. Im Frühjahr kam dann der Hund dazu. Wir haben ja ein großes Grundstück hier. Den Hund haben wir uns nicht aus Angst angeschafft. Wenn einer einbricht, solange er die Couch stehen lässt, ist alles in Ordnung … Schon heute ist hier überall Wachschutz, obwohl noch keine Flüchtlinge da sind. Die blenden einem mit ihren Scheinwerfern auf dem Heimweg und sehen es gar nicht ein, woanders hinzuleuchten. Da gibt es auch einen, mit einem Hund, der kläfft dann die ganze Zeit. Man kommt sich wie ein Schwerverbrecher vor. Rathenow, männlich, Jahrgang ca. 1982


Ich war selber Flüchtling und kann damit sehr gut umgehen. Wir waren arm und hatten nichts. Wir mussten alles selber auf den Feldern ausbuddeln. Für die jetzige Zeit wünsche ich mir, dass alle Flüchtlinge sofort arbeiten dürfen, wenigstens ein bisschen. Ich finde, dass jeder Mensch ein Recht auf einen eigenen Lebensraum hat, egal wo. Schön wäre es auch, wenn es keine Vorurteile gegen Menschen anderer Herkunft geben würde. Ich habe kein Problem mit Flüchtlingen und freue mich auf die neuen Kulturen auf dem Lande. Rhinow, männlich, Jahrgang 1941


Ich singe in einem Chor mit, da sind die Mitglieder meist ältere Frauen, so über Siebzig. Die weigern sich, englisch zu singen. Für die ist das Englische ein böhmisches Dorf. Dabei sind wir ein Mehrgenerationen-Chor. Wir singen in einer entweihten Kirche, der ist jetzt Veranstaltungsraum. Da haben 80 Leute Platz und da kann man mal gemeinsame Aktionen machen. Es ist aber auch schwierig, denn die Flüchtlinge dürfen den Ort nicht verlassen. Der Hausmeister hat die Leute mit seinem Auto rausgefahren und dann ein paar Stunden später wieder abgeholt. Rathenow, weiblich, Jahrgang ca. 1968


Ich kenne einen Rechten, der schickt seine Freundin zum Dönerladen, damit er nicht selbst hin muss. Der sagt, dass Ausländer scheiße sind, aber Döner will er essen – nur sein Image, das will er nicht schädigen. Premnitz, männlich, Jahrgang 1972


Wir sind seit 2 Wochen hier. Alleine. Vorher waren wir eine Woche in Schönefeld, davor in Frankfurt für über 20 Tage, davor in Eisenhüttenstadt. Unsere Familien sind noch immer in Syrien. Gelegentlich haben wir telefonischen Kontakt mit ihnen. In Syrien gibt es nicht immer Strom. Für das Internet im Flüchtlingsheim muss jeder für 20 Tage zehn Euro bezahlen. Das kann sich nicht jeder leisten und muss so auf den Kontakt zu der Heimat und der Familie verzichten. Das ist schwierig. Das Haus ist sehr schön und sauber, die Leute sind sehr aufmerksam und freundlich. Wir sind erst so kurz hier, wir kennen hier nichts, nur den Marktplatz und beim Zahnarzt waren wir. Vor drei Tagen haben wir mit einem Sprachkurs angefangen. [Übersetzt ausdem Englischen] Premnitz, männlich, 1986 und 1980


Im Supermarkt ist es mir aufgefallen, dass die russischen Leuteganz leise sprechen, damit man es nicht merkt. Sie kommen näher und werden immer leiser. Sie sehen doch aus wie wir alle, sie gebensich alle Mühe, dass das auch so bleibt. Es ist schon auffällig, diese Adaptionsfähigkeit. Rathenow, männlich, Jahrgang ca. 1963


Früher war Friesack keine arme Stadt. Es gab hier sieben Bäcker, fünf Fleischer und fünf Brauereien… Jetzt ist alles weg. Die Jugend zieht weg, weil sie hier keine Perspektive hat. Morgens am Bahnhof, da ist der Bahnsteig nach Berlin immer voll. Die Menschen, die Arbeit haben, arbeiten in Berlin. Der Fahrtweg von hier ist nicht länger als von woanders, in einer halben Stunde ist man in Spandau. Auch die Flüchtlinge sehe ich freitags immer mit kleinen Taschen am Zug oder am Bus. Sie fahren auch nach Berlin, um dort Freunde zu besuchen. Sind ja auchalles junge Leute, was sollen siedenn hier machen? Es gab einen Zwischenfall – ich weiß nicht, ob Alkohol im Spiel war – da soll ein Flüchtling da unten bei der Kirche auf eine Frau losgegangen sein …Aber das ist nicht typisch. Zu mir in den Laden kommen sie auch oft, sie grüßen und ich merke, dass sich ihre Deutschkenntnisse nach und nach verbessern. Letztens war hier so ein kleiner Stipke, der wollte für seinen Vater Zigaretten kaufen. Das geht natürlich nicht, aber was wissen sie denn schon über Altersbegrenzung und so was? Einige Asylanten haben sich hierauch was dazu verdient, sie haben bei der Pflege der Grünanlagen geholfen. Im Sommer haben hier die Rechten mobil gemacht. Sie haben die üblichen Parolen gebrüllt, dass die Flüchtlinge uns die Arbeit und den Wohnraum wegnehmen. Aber der ganze Leerstand hier? Daranwürde sich doch nichts ändern, selbst wenn die Flüchtlinge weg wären. Friesack, weiblich, Jahrgang ca. 1966