Dahme-Spreewald 2014/2015

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In den Gedankenprotokollen zeigen sich viele kritische Stimmen. Unreflektierte, unzufriedene und ablehnende Äußerungen gibt es gleichermaßen zu hören wie Mitgefühl und Hilfsbereitschaft. Trafen im mobilen Wohnzimmer gelegentlich zwei oder mehrere Menschen mit unterschiedlichen Ansichten aufeinander, entstanden durchaus angeregte Debatten. Die Hoffnung bleibt, dass manches Argument für Toleranz und Akzeptanz in den Köpfen hängen bleibt, nachwirkt und dazu beiträgt, dass ein hautfarben-, religions- und kulturunabhängiges, friedliches Mit- und Füreinander mit der Zeit zur Selbstverständlichkeit wird – auf dem Land und in jeder Stadt.

Walddrehna 20. bis 27. Oktober 2014
Knapp 600 Einwohner zählt das kleine, zur Gemeinde Heideblick gehörende Dorf in der Nähe von Luckau. Es gibt eine Kirche, einen Bahnhof, eine Arztpraxis und mehrere Firmen. Ein Bahndamm trennt Dorfkern und die Waldsiedlung Pilzheide, eine sanierte Plattenbausiedlung aus den 80er Jahren. Dort befinden sich auch die Kita, die Schule, das Sportlerheim und jede Menge Kleingärten. Im Sommer 2014 wurden hier 44 Flüchtlinge aus Tschetschenien, dem Tschad und Nigeria untergebracht. Entlang der Bahngleise ist auch der Bäcker angesiedelt, die einzige Einkaufsmöglichkeit, die neben einem mobilen Bäckerwagen im Dorf existiert. Der „Raum für Gedanken“ stand zwei Tage auf dem Lindenplatz in Nähe der Arztpraxis und eine knappe Woche in der Pilzheide, inmitten zweier Wohnblöcke, zwischen Spielplatz und Wäscheplatz. Es gab täglich Kaffee und Kuchen, jeden Morgen frisch in der Gästewohnung gebacken.

Luckau 28. bis 30. Oktober 2014
Das kleine Städtchen mit gemütlichem, historischem Altstadtkern im südlichen Brandenburg zählt über 9.600 Einwohner. Noch gibt es kaum Berührungspunkte mit Asylsuchenden. Die Ankunft von ca. 190 Flüchtlingen wird erst im Laufe des kommenden Jahres (2015) in einer leerstehenden Förderschule erwartet. Der „Raum für Gedanken“ stand trotz teilweise schlechter Wetterlage drei Tage auf dem Marktplatz.

Königs Wusterhausen 10. bis 12. November 2014
Königs Wusterhausen ist die größte Stadt im Landkreis Dahme-Spreewald mit rund 34.000 Einwohnern. Im nahegelegenen kleinen Dorf Pätz (Gemeinde Bestensee) steht ein Heim für 150 Flüchtlinge. Ein weiteres gibt es in Waßmannsdorf bei Schönefeld mit voll belegten 236 Plätzen. Der „Raum für Gedanken“ stand zwei Tage auf dem Marktplatz und einen Tag auf dem Fontaneplatz.

Die, ich nenne sie mal Vermummten, besuchen sich gegenseitig. Wenn in der Familie einer krank ist, kümmert sich die ganze Familie. Die kommen aus Großstädten, was sollen sie denn hier, hier ist ja nichts. Sie fahren zum Einkaufen nach Doberlug-Kirchhain, das sind 15 Minuten mit dem Zug. Die alten Menschen, die hier schon immer wohnen, sind mehr oder weniger auf Solidarität eingestimmt worden. Über die neu hergezogenen kann ich mir kein Urteil erlauben. Man ist lieber verschwiegen, weil es sowieso nichts ändert. Hier wohnen meist Ältere und einige, die keine Lust haben zu arbeiten, dann wurden diese Menschen hier reingesetzt. Keiner kümmert sich um die Kinder. Wenn mal was passiert, wird gesagt, warum habt IHR euch nicht gekümmert. Es ist eine Erziehungsfrage. Ich habe noch nie gesehen, dass die ausländischen Eltern draußen mit den Kindern spielen, ab und zu mal Fußball, aber im Großen und Ganzen sind die Kinder alleine. Walddrehna-Pilzheide; männlich, Jahrgang 1955


Man kann nicht mehr unterscheiden, ob jemand Wirtschaftsoder Kriegsflüchtling ist. Keiner hat das auf die Stirn geschrieben. Die meisten sehen nur die Kohle hier in Deutschland und wollen besser leben als woanders. Die vielen Rumänen, Sinti und Roma … Das Wort Zigeuner will ich nicht sagen, da ist man ja gleich ausländerfeindlich. Bin ich nicht, aber alles muss wohl differenziert gesehen werden. Noch ist Deutschland reich, aber für wie lange? Die Kriminalität steigt auch immer mehr. Keiner fährt mehr gern in den Urlaub. Woanders ist es ja auch kein Urlaub mehr, ob Spanien oder Griechenland … Die Jugend wandert doch von dort nach Deutschland, um hier zu studieren und die Alten kämpfen dort um das Überleben. Königs Wusterhausen; männlich, Jahrgang 1943


Anfangs hatten wir Angst, denn wir wussten nicht, welche Kulturen hier herkommen. Das hat sich gelegt, aber etwas Misstrauen den Tschetschenen gegenüber gibt es schon noch. Sie sollten sich auf der Einwohnerversammlung vorstellen, aber sie konnten nicht so viel reden, ihr Deutsch war noch nicht so gut. Die Kinder haben schon seit dem ersten Tag hier auf dem Sportplatz Fußball gespielt. Die Eltern sieht man nicht. Die Frauen reden gar nicht. Wer weiß, ob sie überhaupt dürfen oder nicht. Woher soll man was wissen, wenn einem nichts gesagt wird. Andere sagen, „Ihr werdet schon sehen!“, aber ich denke, erstmal abwarten. Ältere zum Beispiel meinen, wenn das die Rechten erstmal spitzkriegen, dann ist es vorbei mit der Ruhe hier. Walddrehna-Pilzheide; weiblich, Jahrgang 1963


Die Flüchtlinge heute tun mir leid, besonders die, die vor dem Kriege fliehen. Sie haben nichts mehr. Wir machen mit unseren Waffen ihre Heimat kaputt, die Soldaten liefert die Politik und Wirtschaft gleich mit. Und dann müssen wir, die „kleinen Leute“, für diese Menschen aufkommen. So gut allerdings, wie es ihnen hier geht, ging es uns nicht. Wir hatten gar nichts mehr, waren auch nicht willkommen und es war alles so schwer. Für die Deutschen waren wir Zigeuner. Ich konnte nicht mehr zur Schule gehen, mir fehlt da so viel, Lesen, Schreiben und so weiter. Das hat alles bis heute Nachwirkungen. Nach so vielen Jahren hier hat mir ein junger Mann gesagt, „Lern du erstmal richtig Deutsch, du Flüchtling!“. [Anmerkung der Redaktion: Die Frau sprach Dialekt.] Königs Wusterhausen; weiblich, Jahrgang 1938


Aus meiner Klasse kommt ein Mädchen aus den Philippinen. Sie sind hierher geflüchtet. Wir spielen manchmal Fußball und zu Besuch war ich auch schon mal bei ihnen. Meine Mama hat gesagt, sie kriegen ca. 4.000 Euro, denn sie sind eine vierfache Familie. Weiß nicht, ob das stimmt. Walddrehna; weiblich, Jahrgang 2004


Vom Glauben her haben die Frauen gar nichts zu sagen. Vielleicht dürfen sie nicht. Sie sind immer drinnen. Die tschetschenischen Damen sind sehr verschreckt. Sie liefern die Kinder in der Kita ab und dann müssen sie ganz schnell wieder nach Hause. Das habe ich nur vom Hörensagen, ob es wirklich so ist, weiß man ja nicht. Sowas müsste man erfahren. Walddrehna-Pilzheide; weiblich, Jahrgang 1963


Wir müssen begreifen, dass alles was wir anderen antun zurückkommt, knallhart. Ich habe Kontakt zu Flüchtlingen gehabt und habe mich geschämt. Vor Pfingsten in Nordrhein-Westphalen. Eine junge, hübsche Frau, eine Türkin, Aldi-Tüte bis oben hin voll. Habe sie mitgenommen, in ein Auffanglager. Da habe ich mich geschämt: Das war eine Baracke außerhalb der Stadt – da stank es nach Schimmel, da tat mir schon der Atem weh, vom Schimmel. Königs Wusterhausen; männlich, Jahrgang 1967


Es ist so ungerecht. Meine Mutter hat ihr Leben lang so schwer gearbeitet, 45 Jahre bei der Post. Sie bekommt jetzt eine Rente unter 600 Euro. Ihre Einraumwohnung in Marzahn kostet über 300 Euro. Da bleibt nicht mehr viel. Uns Deutschen sagt man, wir sollen arbeiten gehen, damit wir mal eine Rente bekommen. Und die, die hier herkommen, kriegen das alles, ohne je hier gearbeitet zu haben. Eine Wohnung, Waschmaschine, Fernseher, Geld fürs Essen … Meine Mutter muss das alles selbst bezahlen. Es ist einfach ungerecht. Luckau; männlich, Jahrgang 1949


Wir schauen ihnen oft beim Fußball auf dem Berg zu. Ist immer lustig. Sie tragen alle Markenklamotten. Ich war sonst immer alleine im Block, da musste man immer vorne in die Lindenstraße fahren. Es ist schön, wenn jetzt hier mehr Kinder zum Spielen sind. Walddrehna-Pilzheide; weiblich, Jahrgang 2004