Ostprignitz-Ruppin 2014

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Während der dreimonatigen Reise durch das Land Brandenburg machte der „Raum für Gedanken“ im Jahr 2014 zehn Tage lang Station im Landkreis Ostprignitz-Ruppin und traf auf viele offene, hilfsbereite und aufgeschlossene Menschen, die sich durch Wort, Bild und tatkräftige Unterstützung in das Projekt eingebracht haben.

Neuruppin 23. bis 25. September und 31. Dezember 2014
In Neuruppin leben ca. 30.345 Menschen. Von den rund 400 Flüchtlingen, die im Landkreis Ostprignitz-Ruppin aufgenommen wurden, leben ca. 220 im von den Ruppiner Kliniken betriebenen Übergangsheim in Treskow. Zusätzlich sind dezentrale Unterbringungen in Wohnungen geplant. Momentan leben nur wenige asylsuchende Familien in eigenständigen Wohnungen in der Kreisstadt. Der „Raum für Gedanken“ stand im September 2014 drei Tage lang auf dem Schulplatz und zum Jahresende für einen Tag in der Neuruppiner Bilderbogenpassagen.

Lentzke 1. bis 4. Oktober 2014
Lentzke, ein 400-Einwohner-Dorf bei Fehrbellin, erwartete zum Jahresende 70 Flüchtlinge. Im Herbst stand der „Raum für Gedanken“ vier Tage und drei Nächte auf dem Spielplatz ganz in der Nähe der Wohnblöcke, in denen gerade einige Wohnungen vom Hausmeister für die neuen Nachbarn hergerichtet wurden. Jeden Morgen brachten LentzkerInnen einen frisch gebackenen Kuchen für die Besucher des Raumes. Im Januar 2015 wurde ein erneuter, kurzer Besuch in Lentzke organisiert, um mit einigen der inzwischen angekommenen Neu-Lentzkern aus der Russischen Föderation, Weißrussland, Syrien, Serbien und Bosnien Kontakt aufzunehmen. Vor Ort gibt es eine Sozialarbeiterin, die den Wohnverbund leitet sowie einen arabisch sprechenden Sozialarbeiter. Für die alltäglichen Einkäufe gibt es einen Gemischtwarenladen im Ort. In der wärmeren Jahreszeit werden dort freitags öffentliche Grillnachmittage veranstaltet. Einige Bewohner geben Sprachunterricht und organisieren wöchentliche Einkaufsfahrten.

Rheinsberg 2. bis 3. November 2014
Rheinsberg liegt im Rheinsberger Seengebiet im Ruppiner Land und zählt 8120 Einwohner. Im November 2014 stand der „Raum für Gedanken“ zwei Tage auf dem Kirchplatz. Zu diesem Zeitpunkt lebten noch keine Flüchtlinge in der „Töpferstadt“, jedoch wird die Aufnahme von Flüchtlingen in sechs Wohnungen der Rheinsberger Wohnungsgesellschaft geplant.

Meine Freundin ist Moslem und sie ist sehr nett und lustig. Sie lebt seit drei Jahren in Berlin und ich möchte, dass sie bei uns bleibt, weil sie mich in schweren Zeiten immer aufmuntert. Rheinsberg, weiblich, Jahrgang 2001


Vor 43 Jahren kam ich fremd nach Lentzke und ich war noch nicht einmal Ausländerin. Trotzdem war es schwer, dort heimisch zu werden. Oft hörte ich damals die Älteren erzählen, von der Zeit als sie selbst nach dem Krieg als Flüchtlinge kamen und von den Einheimischen als „Habenichtse“ mit Argwohn beobachtet wurden. Damals wie heute gilt: Niemand verlässt ohne Not seine Heimat. Die Flüchtlinge von heute haben oft Schlimmes erlebt. Dass sie „nur“ Wirtschaftsflüchtlinge sind, macht bei einigen von ihnen diesen Entschluss doch nicht weniger nachvollziehbar. Geben wir ihnen eine Chance! Neuruppin, weiblich, Jahrgang 1959


Die Not ist groß. Man ist tief betroffen, wenn man in den Medien über die Flüchtlinge in aller Welt informiert wird [einschließlich die Situation im Gazastreifen). Die Hilfe müsste durch die UNO organisiert werden, die hier leider immer versagt. Angesichts der großen Not will Deutschland zu wenige Flüchtlinge aufnehmen. Neuruppin, männlich, 1926


Wir sind schon so geprägt von Urängsten, narzisstischen Störungen, Verhaltensmustern … Wie soll es da den Menschen aus unterschiedlichen Kulturen gehen? Rheinsberg, männlich, Jahrgang 1964


Freunde von uns ziehen demnächst in den Block, in dem auch die Flüchtlinge untergebracht werden. Dadurch rückt das Thema für uns näher und wir müssen uns damit auseinandersetzen. Es ist viel Offenheit von unserer Seite da. Unsere Kinder sagten gleich, sie stellen den neuen Kindern eine Kiste voller Essen und einen Blumenstrauß vor die Tür. Unser Sohn hofft darauf, neue Freunde zu finden. An dieser kindlichen Unbefangenheit möchten wir festhalten. Mein Mann ist Musiker und hofft ebenfalls, dass noch andere Musiker kommen. Glücklicherweise gibt es viele sozialstarke Mitbewohner im Dorf, die sich engagieren und Patenschaften bilden wollen. Es gibt aber auch ablehnende Haltungen. Lentzke, weiblich, Jahrgang 1970


Asylsuchende fliehen zu uns vor der Politik von uns. Neuruppin, männlich, Jahrgang 1980


Die Neuruppiner Panzerkasernen könnten für Migranten genutzt werden. Das Gebiet ist groß und die Menschen hätten viele Möglichkeiten, sich zu betätigen und würden eine Aufgabe bekommen. Ich weiß nicht, welche Menschen aus welchen Kulturen und Religionen ankommen. Das sollte man vielleicht trennen. Es wird erzählt, dass Asylbewerber kommen und Schäden anrichten und die Einrichtung demolieren. Ich weiß es nicht, habe es nur gehört. Es wäre auf jeden Fall sinnvoll, dass sie Tätigkeiten bekommen, um keinen Unsinn anzustellen und um selbst etwas schaffen zu können. Neuruppin, männlich, Jahrgang 1945


Hilfe heißt nicht: Waffen liefern. 1. September Weltfriedenstag. Kleine Kundgebung in Neuruppin wegen Krieg in Syrien. Ein Syrier wollte etwas sagen, konnte es aber vor Aufregung nicht. Junge und alte Menschen aus den Flüchtlingsheimen waren dabei. Wir finden es gut, dass sie hier sind, weil dort Krieg herrscht. Wir finden es gut, dass sie sich wohlfühlen dürfen. Neuruppiner haben sich positiv geäußert und wollten sie unterstützen. Deutschland soll nicht mit Waffenlieferungen die Kriege unterstützen. Damit kann man keinen Frieden stiften. Hilfe vor Ort wäre wichtiger. Neuruppin, männlich udn weiblich, Jahrgang 1950


Wir müssend dafür sorgen, dass die Welt überall ein Zuhause ist. Dafür lohnt jede Anstrengung. Wir sind alle nur Gast auf dieser Erde. Rheinsberg, weiblich, Jahrgang 1956; männlich, Jahrgang 1958


Wir sind im Februar 1945 geflüchtet. Nach Neuruppin mit einem Pferdewagen. Wenn ich könnte, würde ich heute Flüchtlinge betreuen. Ich finde es nicht gut, wenn sie beengt in einem Heim untergebracht werden. Sie sollen Wohnungen bekommen und ein normales Leben führen können. Rheinsberg, weiblich, Jahrgang 1929


Ich habe letztens einen Film gesehen. Da hat in Bautzen, glaube ich, ein Hotelier sein Hotel zu einem lebenswerten Flüchtlingsheim mit dem gleichen Personal usw. umfunktioniert. Seitdem bekam er Morddrohungen und musste erst einen Zaun um sein Hotel bauen, um die Menschen zu schützen … vor seinen Nachbarn. Das macht mir Angst … Wie wollen wir empfangen werden, wenn wir flüchten müssten? Rheinsberg; weiblich, Jahrgang 1951


Ein großes Problem sind die gewaltverherrlichenden Spiele. Erfolgsquote über Tote und zerstörte Häuser. Sie spielen die Spiele, wissen aber nicht, was Krieg wirklich ist und was es bedeutet, vertrieben zu werden und Not in der Familie zu haben. Es ist schwer, das der Jugend greifbar zu machen. Neuruppin, männlich, Jahrgang 1945


Die Problematik des Vertriebenseins ist uns fremd. Unsere Großeltern haben uns in unserer Kindheit davon erzählt. Es klang wie ein Märchen aus vergangenen Tagen und nicht nachvollziehbar in unserem eigenen Leben. Sie kamen aus dem Sudetenland und Ostpreußen über Nacht geflüchtet. Uns geht es gut. Wohlstand und Frieden – geben wir etwas ab. Es schmerzt niemanden, also macht es! Rheinsberg, weiblich, Jahrgang 1960


Ich habe das Gefühl, dass die Integration keine wirkliche Integration ist. Sie könnte direkter in der Gesellschaft stattfinden, mehr an der Basis. Da, wo Menschen leben, arbeiten und ihre Freizeit verbringen. Jeder Flüchtling könnte einen Paten bekommen. Der Pate kümmert sich um Integration, um Teilnahme an allen Bereichen des Lebens, auch sofortige Integration durch einen Hilfsarbeiter-Arbeitsplatz. Firmen übernehmen die Patenschaften, aber auch engagierte Privatpersonen. Das alles ist unentgeltlich, aber wird automatisch mit zunehmender Zeit sehr hohe soziale Anerkennung erfahren. Neuruppin, männlich, Jahrgang 1961